Wenn man mit einer Kampfkunst anfängt, muss man zuerst den richtigen Stand erlernen. Für viele Anfänger ist das der langweiligste Teil des Trainings – stehen kann doch jeder! Oder?

Der aufrechte Stand

Das „Markenzeichen“ des Menschen ist der aufrechte Gang. Dazu gehört aber zuerst der aufrechte Stand, was gerne übersehen wird. Die Evolution musste zuerst die physischen Grundlagen dafür schaffen, dass wir unseren Körper entgegen der Gravitation aufrichten und im Gleichgewicht halten können – auf zwei Beinen.

Dazu sind eine ganze Reihe von Voraussetzungen notwendig, wie beispielsweise ein S-förmiges Rückgrat, eine besondere Beckenform, Muskelketten, und so weiter. Insbesondere der Stützmuskulatur rund um das Becken kommt besondere Bedeutung zu, denn sie muss den Torso aufrichten und vor allem verhindern, dass er in eine Richtung kippt.

Stehen in der Kampfkunst

Eigentlich geht es in der Kampfkunst ja nicht darum, zu stehen. Vielmehr soll man sich ja möglichst viel bewegen, um dem Gegner wenig Angriffsfläche zu bieten. Um das zu erreichen, muss man aber zuerst lernen, wie man richtig steht – und das ist keinesfalls universell.

Grundsätzlich gibt es vier verschiedene Arten, wie eine Kampfkunst ihren Stand aufbauen kann (manche nutzen auch mehrere oder gar alle vier):

  • Parallele Füße: Hier sind beide Füße parallel zueinander ausgerichtet, meist frontal zum Gegner. Oft wird das Gewicht zentriert abgesenkt. Der „Reiterstand“ des Karate oder Kung Fu, beispielsweise.
  • Gewicht auf dem hinteren Bein: Ein Fuß zeigt auf den Gegner (der Führungsfuß), das Gewicht liegt aber vor allem auf dem hinteren. Damit sind sowohl schnelle Sprünge nach vorn möglich (Klassisches Fechten), als auch Tritte mit dem Führungsfuß (Savate).
  • Gewicht auf dem Führungsfuß: Hier liegt das Gewicht mehr auf dem vorderen Bein. Dadurch erreicht man eine vorwärts orientierte Kampfhaltung, die sehr gut Druck aufbauen kann (Bologneser Tradition).
  • Gewicht gleichmäßig, Füße hintereinander: Hier stehen die Füße zwar hintereinander, das Gewicht liegt aber gleichmäßig auf beiden. Damit sind prinzipiell Bewegungen in alle Richtungen möglich, eine Gewichtsverlagerung ist dabei aber meist nötig (Kali).

In meiner Zeit im Bujinkan habe ich alle vier Standvarianten gelernt, weil man sie dort in unterschiedlichem Kontext einsetzt. Man verbindet sie auch mit einer psychologischen Komponente, indem der Stand die aktuelle Einstellung zum Kampf widerspiegelt.

Man kann also stabil und unbeeindruckt stehen, eher defensiv auf einen Konter warten, aggressiv Druck aufbauen oder völlig reaktiv bleiben. Je nach Situation wechselt man auch den Stand. Dieser Zugang hat mir bei der Analyse von verschiedenen Kampfkünsten gute Dienste geleistet (egal, was man jetzt konkret vom Bujinkan halten mag).

Stand im Historischen Fechten

Betrachtet man die verschiedenen Stile des Europäischen Historischen Fechtens, findet man auch diese vier Stände wieder. Betrachtet man sie unter dem Gesichtspunkt dessen, was ich oben geschrieben habe, ergibt sich ein Eindruck vom grundlegenden Zugang eines Stils zum Kampf.

Die erste Variante findet sich nicht im bewaffneten Kampf. In einem Kampf mit scharfen Klingen ist ein stabiles Stehen bleiben nicht wirklich sinnvoll. Hingegen sehen wir diesen Stand sehr wohl beim Ringen.

Die zweite Variante finden wir im Rapier und dem späteren Fechten (Smallsword, Säbel). Je linearer das Fechten wird, umso mehr wandert das Gewicht nach hinten. Man muss nicht mehr schnell zur Seite treten, blitzschnell eine Fußlänge rückwärts zu kommen ist vorteilhafter. Dafür muss man schnell seine volle Reichweite erreichen können.

Die dritte Variante wiederum sehen wir bei den Bologneser Autoren. Ich werde später noch genauer darauf eingehen.

Die vierte Variante entspricht wohl dem, was die deutschen Autoren als „Waage“ bezeichnen. Auf vielen Abbildungen erscheint es aber, als wäre auch hier ein vorwärts orientierter Stand zu sehen – was einen Wechsel zwischen den beiden wahrscheinlich macht.

Stand im Bologneser Fechten

Coda longa e larga aus Marozzo 1536In der Bologneser Tradition haben wir als Basis für den Stand nur die Holzschnitte bei Marozzo (in der 1536er Ausgabe – die Kupferstiche der 1568er Ausgabe unterscheiden sich bereits). Hier sehen wir einen stark vorwärts orientierten Stand mit mehr Gewicht auf dem vorderen Bein.

Bemerkenswert – und für den Beleg auch bedeutend – ist dabei die Darstellung der Coda longa e distesa mit dem Spadone: hier liegt das Gewicht deutlich, und damit abweichend, auf dem hinteren Bein. Ebenfalls abweichend gibt es eine (auch textlich erwähnte) Abweichung der Guardia alta mit dem Seitschwert, bei dem der Führungsfuß komplett an das hintere Standbein herangezogen wird und kein Gewicht trägt.

Die Wichtigkeit dieses Standes erschließt sich erst nach längerer Zeit, wenn man merkt, dass viele Stücke einfach nicht funktionieren, wenn der Stand nicht passt. Ist er aber korrekt, funktioniert vieles fast von alleine.

Gerade der Stand mit dem Gewicht auf dem vorderen Bein ist für Viele oft nicht intuitiv und fühlt sich seltsam an. Instinktiv will man das Gewicht nach hinten verlagern, insbesondere im Kampf, wenn die gegnerische Klinge sich nähert. Das Zurückweichen vor der Gefahr ist eine tief in uns verankerte Reaktion, die unser Überleben sichern soll.

Diesen Instinkt zu überwinden, erfordert Übung. Und natürlich die Erkenntnis, warum dieser Stand für das Fechten in der Bologneser Tradition so wichtig ist.

Die Gefahren des Sportfechtens

Betrachtet man nun den Stand bei Aktiven der Bologneser Tradition, die stark Sport- und Turnier-orientiert sind, erkennt man schnell den Einfluss des Olympischen Fechtens. Das Gewicht liegt vornehmlich hinten – und damit genau verkehrt herum.Fehlerhafter Stand bei einem Aktiven

Daraus ergibt sich gleichzeitig eine rein lineare Fechtweise. Natürlich ist es vorteilhaft, wenn man bei linearer Fechtweise mit dem Gewicht hinten arbeitet – man kann mit voller Sprungkraft nach vorne stoßen, blitzschnell in den Ausfall gehen und sich zurück ziehen. Dadurch werden aber die vielen Winkelmanöver der Bologneser Tradition völlig vernachlässigt.

Was bleibt, ist leider allzu oft ein schepperndes Aufeinandertreffen zweier LKWs – insbesondere bei Schwert und Buckler. Zwei Kämpfer, die völlig geradlinig aufeinander zustürmen, dann landen Schwerthiebe auf den Bucklern, es kommt zum wilden Fuchteln, dann vielleicht ein Treffer (meist ein Doppeltreffer) und schließlich trennt man sich wieder.

Betrachtet man die Stücke in den Quellen, wird schnell klar, dass die Autoren das nicht gemeint haben können.

Der Stand als psychologische Stütze

Porta di ferro stretta aus "Die Schutzwaffen"Konzentriert man sich auf den korrekten Stand (was im Freigefecht nicht immer einfach ist, zugegeben), ergeben sich viele Aktionen aus den Stücken fast wie von selbst. Da man nach vorn orientiert bleibt, baut man nicht nur leichter Druck auf, man hält ihm auch deutlich besser stand. Winkelarbeit wird wesentlich intuitiver.

Besonders interessant sind Gefechte gegen Gegner, die sich auf die oben beschriebene Sportfechtmethode verlassen. Die meisten dieser Fechter reagieren auf die vorwärts orientierte Fechtweise irritiert, manche brechen unter dem Druck auch regelrecht zusammen. Ihre Körperstruktur ist nicht dafür geeignet, den nicht nachlassenden Druck zu absorbieren, weil sie auf einen steten Wechsel hin optimiert ist.

Was folgt, ist oft ein fast schon panisches Um-sich-schlagen, während der betreffende Fechter seinen Oberkörper aus der Gefahrenzone biegt – weil sein nach hinten orientierter Stand es ihm unmöglich macht, dem Druck von vorne mittels Schrittarbeit nachzugeben. Sein hinteres Bein ist regelrecht festgewachsen.

Natürlich bringt allein der korrekte Stand noch nicht den „Sieg“. Gerade durch das wilde Fuchteln kommt es meistens zu Doppeltreffern, weil unkontrollierte Attacken nun einmal schwer abzuwehren sind. Man darf sich also nicht den glatten Turniersieg versprechen, wenn man mit dem richtigen Stand arbeitet, das wäre viel zu einfach.

Nachteile des Bologneser Standes

Wie in allen Dingen gibt es nicht nur Vor- sondern auch Nachteile. Der vorwärts orientierte Stand erfordert nämlich ständige Bewegung, Stillstand ist tödlich. Während der Fechter im rückwärts orientierten Stand einfach stehen bleiben kann, darf man sich das hier nicht leisten (oder nur weit außerhalb der Mensur).

Das lineare Fechten vom Smallsword aufwärts ermöglicht ein Lauern. Man wartet ab, was der Gegner tut und hat immer noch Zeit genug, darauf zu reagieren. Offensive ist hier riskanter als Defensive. Im Säbelfechten sehen wir dann die Konzentration auf Due Tempi Fechten, also eine Abfolge von Abwehr und Konter.

Die Bologneser Autoren schreiben immer wieder davon, dass Abwehr und Angriff möglichst gleichzeitig erfolgen sollen, die Abwehr also bereits den Weg für den Konter bereitet und der Angriff die Abwehr eines solchen. Das erfordert natürlich einen gänzlich anderen taktischen Zugang als das Lauern und Kontern.

Der vorwärts orientierte Stand erfordert daher das aktive Erarbeiten von Blößen, die Nutzung von Winkeln, sowie den Einsatz beider Schneiden des Schwertes, um Blößen anzugreifen und zu schließen.

Fazit

Wer an der korrekten, kampftauglichen Rekonstruktion der Bologneser Fechtweise interessiert ist, der kommt nicht darum herum, sich auch mit dem Stand zu befassen. Dazu kommt die Gefahr, sich Dinge anzugewöhnen, mit denen man in einem Turnier Erfolg hatte, oder die man bei anderen sieht. Der Mensch ist ein Affe – und Affe tut, was Affe sieht.

Ich ertappe mich auf Freikampf-Videos auch immer noch dabei, wie mein Stand zu eng wird, das Gewicht nach hinten geht oder ich linear fechte. Wie bei allen Dingen steht die Erkenntnis des Fehlers aber immer am Beginn der Verbesserung.