Ein vorausschauender Rückblick 

Ganze 15 Jahre ist es inzwischen her, dass Fior della Spada gegründet wurde. Vieles ist seitdem passiert und noch viel mehr hat sich verändert. Wir haben uns zusammengesetzt und die letzten Jahre Revue passieren lassen. Mit dabei sind Alex Zalud und Claudia Grafeneder, die mit Werner Marschall Anfang der 2000er den Grundstein für alles legten. Sie entdeckten die Bologneser Quellen, begannen mit der Interpretationsarbeit und gründeten schließlich den Verein. Als erster Schüler stieß 2007 Michael Rydholm dazu, inzwischen einer unserer geschätzten Trainer. Gemeinsam mit Obfrau Elisabeth erinnern sie sich an die Anfangszeit, die ersten Hürden und Entwicklungen.

Von der Donauinsel in den Fahrradkeller

Elisabeth: Wann und wie habt ihr mit Kampfkunst begonnen und wie kamen die ersten italienischen Schwerter in euren Leben?

Claudia: Ich war nie wirklich sportlich, aber ich hatte zu dem Zeitpunkt ein paar Jahre Wing Tsun gemacht. Alex hat immer schon Asiatische Kampfkünste und Kampfsport gemacht.

Alex: 2004 waren wir auf dem Mittelaltermarkt in Jedenspeigen und da sah ich dieses Schwert bei einem Stand. Ich bin sicher dreimal vorbeigegangen bevor ich beschlossen habe, es zu kaufen.

Claudia: Er hat dann daheim sofort angefangen, es herumzuschwingen. Und als wir wieder mal Pen & Paper bei uns mit Freunden gespielt haben, hat er es Werner gezeigt. Die beiden haben sich sofort intensiv darüber ausgetauscht.

Alex: Ich hab daraufhin im Internet recherchiert und so die ersten historischen Quellen gefunden. Als erstes bin ich auf Liechtenauer gestoßen, dann auf Fiore. Das Schwert war allerdings ein Einhänder, der passte also nicht. Wir haben uns bald andere Trainingswaffen zulegen müssen. Die ersten hat uns mein Vater noch aus Holz gebaut. Etwas später hatten wir dann auch Shinai – wie viele andere HEMA-Vereine damals.

Elisabeth: Wie und wo darf ich mir die ersten Trainings vorstellen?

Claudia: Ich glaube das älteste Bild, das ich dazu habe, waren wir drei auf der Donauinsel, kann das sein?

Alex: Ja, und später dann im Radkeller von Werner. Der hatte allerdings unter anderem den Nachteil, dass er extrem niedrig war.

Werner und Claudia bei den ersten Rekonstruktionsversuchen 2006 im berüchtigten Fahrradkeller.

Claudia: So niedrig war der Keller nicht. Zu niedrig für den Bihänder. Mit Einhandschwert ging es gut, mit dem Eineinhalbhänder hat man sich halt zwischen den Rundbögen der Gewölbedecke bewegen müssen.

Elisabeth: Wie seid ihr dann bei den Bologneser Quellen gelandet?

Alex: Über Recherche kam ich von Fiore auf andere italienische Quellen und da kam Marozzo zum ersten Mal auf. Italienisch konnte keiner von uns damals. Von Fiore gab es Teilübersetzungen von den „Exiles“, so hießen die glaube ich; und von Will Wilson einen Teil von Marozzo. Allerdings kam mir da vieles seltsam vor. Also hab ich mich relativ schnell mit Onlinewörterbüchern und Google Translate an eigene Übersetzungen gemacht. Mit der Zeit hab ich dadurch dann Italienisch gelernt. Allerdings nur Marozzo-Italienisch aus dem 16. Jahrhundert [lacht].

Claudia: Alex hat übersetzt und dann haben wir es zu dritt ausprobiert. Entweder war sofort alles klar oder es hakte an irgendetwas. Dann wurde Alex zurück an den PC geschickt und hat die Übersetzung überarbeitet.

Alex: Meistens lag es nicht einmal daran, dass ich wirklich falsch übersetzt hatte, sondern nur an einer Formulierung. Wer Marozzo kennt, weiß was gemeint ist… [lacht]

 

Ab der Vereinsgründung 2007 kommen neue Leute dazu. Hier ein verpixeltes Foto der ersten Sparrings aus dem Jahr 2008.

Fior della Spada wird gegründet

Elisabeth: Wer ist „schuld“ an der Vereinsgründung und warum habt ihr ihn überhaupt gegründet?

Claudia: Wir hatten ja den Fahrradkeller als behelfsmäßige Lösung. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass wir im Fahrradkeller auch mal mehr waren und auch Michael da schon dabei war. Aber mehr als 4-5 Leute ging da nicht. Wir waren 2007 im HGM (Heeresgeschichtliches Museum) wegen der langen Nacht der Museen. Es gab Fechtvorführungen, die uns echt gut gefallen haben. Einmal Klingenspiel und dann auch Dreynschlag.

Elisabeth: Wie seid ihr mit den Leuten ins Gespräch gekommen?

Claudia: Naja, mit Leuten war Alex nie gut. Als Pezi (Peter Zillinger von Klingenspiel) also gerade ansprechbar wirkte, bin ich hin zu ihm. Ich hab ihn auf die Vorführung angesprochen und wie toll ich es fand, dass sie das so professionell aufzogen. Dann hab ich ihm erzählt, was wir machten und ihn gefragt, wo sie trainieren würden. Weil das bei uns eben etwas schwierig war. Er meinte dann, wir sollten doch einfach einen Verein gründen, damit wir Turnsäle nutzen könnten. Und dann könnten wir ja auch dem österreichischen Verband (ÖFHF) beitreten.

Elisabeth: Also ist die Vereinsgründung dein Verdienst. Und der von Peter Zillinger.

Claudia: Kann sein. Alex wäre wahrscheinlich nicht hingegangen.

Elisabeth: Wie sah denn das Aufnahmeverfahren für den ÖFHF aus?

Alex: Das war im Trainingsraum von Klingenspiel. Wir haben uns zuerst deren Training angesehen und mitgemacht. Danach haben Werner und ich ihnen gezeigt, wie wir so trainierten.

Elisabeth: Was habt ihr ihnen denn gezeigt?

Alex: Spadone. Und die Prese aus Marozzo. Und dann traten wir im selben Jahr noch dem ÖFHF bei. Das war eben 2007.

Claudia: Wir haben dann auf jeden Fall schon in der Halle trainiert. Und im Herbst kam dann auch schon der erste Schüler vorbei.

Elisabeth: Das warst du, Michael. Wo kamst du denn sporttechnisch her?

Michael: Ich hatte zu der Zeit lange Taekwondo gemacht. Aufgrund von Hüftschmerzen musste ich aber damit aufhören und dachte mir, jetzt muss ich mir auf meine alten Tage etwas anderes suchen. Ich hatte eine Dreynschlag-Vorführung auf einem Mittelaltermarkt gesehen und die hatte mich sehr beeindruckt. Also hab ich im Internet gesucht und bin auf eine sehr professionell anmutende und detailverliebte Homepage gestoßen. Ich bin also hin und dann standen Claudia, Werner und Alex in der Halle.

 

Oben: Werner und Alex beim Sparring mit Schwert und Targa

Unten: Michael Rydholm beim Sparring mit Ilkka Hartikainen auf einem der damals größten italienischen HEMA-Events (HEMAC Florentia 2016)

Schwertübergabe in dunklen Parks

Elisabeth: Ihr habt ja dann irgendwann bei den Schmieden Schwerter nach Maß bestellt. Aber dafür brauchtet ihr die Maße ja erst einmal. Ihr habt dazu im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien Vermessungen durchführen dürfen. Wie kam es dazu?

Michael: Da war ich schuld. Ich hab den Herrn Doktor Pfaffenpichler damals in einem schwachen Moment überfallen. Er hat zugestimmt, uns Zugriff auf die Sammlung zu gewähren.

Alex: Wir sind damals zu viert hin und haben alles vermessen, was uns geeignet erschien. Dort hängt übrigens auch das Original, nach dem ich mir später mein Schwert fürs Techniktraining von Regenyei anfertigen ließ. Vermutlich Norditalien um 1500.

Eine der ersten Repliken nach einem Original im HGM Wien. Datierung: Norditalien um 1500

Alex: Jetzt hatten wir die Maße und brauchten einen Hersteller. Zuerst hab ich einen Tschechen gefunden, der nach Maß fertigte. Der hieß Krondak. Aber seine Simulatoren waren jedes Mal schwerer als sie laut Angabe hätten sein sollen. Also bin ich – ich glaube 2010 – beim Dreynevent zu Regenyei – damals noch extrem klein und unbekannt. Ich hab ihm eines der Krondak-Schwerter in die Hand gedrückt und gefragt: „Kannst du das in Besser?“ Er hat ja gesagt! Von da an haben wir ihm immer Angaben zu unseren Messungen geschickt und er hat geliefert.

Michael: Wir haben zuerst tröpfchenweise bestellt bei ihm, aber dann immer größere Kontingente. Das lustigste rückblickend war aber die Übergabe. Er ist am Abend mit dem Auto aus Ungarn gekommen, da war es schon dunkel. Wir haben uns bei einem Park getroffen. Er holt die Schwerter aus dem Kofferraum, ich gebe ihm Geld. Eine sehr… zwielichtig anmutende Szenerie [lacht].

Alex: Die ersten Bestellungen waren Seitschwerter. Als nächstes habe ich ihn dann am Dreynevent gefragt, wo seine maximale Klingenlänge liegt. Er meinte, naja, so 1,10m bis 1,20m müsste gehen. Also hat Michael ihm wieder was geschickt. Das war das erste Spadone, der Prototyp hängt immer noch bei mir an der Wand. Und beim Dolch war es ebenso. Wir haben zuerst über die Parierform diskutiert. Die erste Version sollte weit aufgebogene Parierstangen haben, wir wollten sie aber enger, weil wir das für funktionaler hielten. Und so sind die Bologneser Dolche entstanden.

Michael: Die waren ein Schlager für ihn. Sind wie warme Semmeln weggegangen.

Alex: Ja, er hat nämlich gleich mehr gemacht, nicht nur die für uns. Die hat er dann alle zum Dreynevent mitgenommen und sie waren innerhalb von zwei Stunden ausverkauft!

Elisabeth: Es ist also anzunehmen, dass einige der Waffen, die er bis heute verkauft, auf euren Prototypen basieren?

Alex: Ja, ziemlich sicher. Die Dolche zum Beispiel, die er hat, sind im Prinzip unser Design, nur halt mit längerer oder kürzerer Klinge. Und bei den Spadoni hat er jetzt teilweise andere Versionen von Originalen her. Unsere waren da eher zweckmäßig, die hat er nicht mehr; und die Leute jetzt wollen heutzutage was Hübscheres, glaube ich.

HEMA und Mindset

Elisabeth: Eine Frage für dich Claudia. Peter Zillinger von Klingenspiel meinte mal zu mir, dass er den Eindruck hatte, in der Anfangszeit wäre der Frauenanteil noch größer gewesen als heute. Hast du das auch so erlebt?

Claudia: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Bei Fior della Spada waren wir immer nur um die zwei, drei Frauen. Einige davon waren nur sehr kurz da. Ich weiß, dass Klingenspiel mit Rapier immer verhältnismäßig mehr Frauen hatte. Ich glaube, das liegt auch an der Waffe. Du brauchst fürs Seitschwert halt auch relativ starke Handgelenke. Und dann ist es auch so: Du brauchst das richtige Mindset dafür, dass du das überhaupt machen möchtest. Ich hab ja dann auch aufgehört und das hatte mehrere Gründe.

Einerseits war mir die rechtliche Grauzone immer zu unsicher. Was passiert, wenn ich versehentlich meinen Trainingskollegen verletze? Dann war es so, dass die Waffen auch relativ schwer waren. Selbst wenn ich trainiert war, wurden sie mir mit der Zeit immer noch zu schwer. Und es war einfach immer mehr das Ding von Alex. Ich hab gerne unterstützt. Ich war da, solange es nicht genug Trainingspartner gab. Ich wollte sie nicht hängen lassen. Als dann aber durchschnittlich bei jedem Training fünf bis sechs Leute da waren, hab ich mich davon verabschiedet.

Ich selbst hatte trainingstechnisch ein Plateau erreicht. Ich war technisch gut, wollte aber nie Sparring machen. Das war einfach nicht meines. Und ohne das Sparring wäre ich auch nicht mehr besser geworden. Ich stand vor meinem Trainingspartner und hab es einfach nicht in meinen Kopf reingekriegt, dass ich jetzt in einen Angriffsmodus gehen müsste. Das ging einfach nicht in meinen Kopf. Ich hab mich verteidigt, wenn der andere mich angegriffen hat, aber ich hatte ansonsten einfach nicht das Mindset dafür. Ich hätte zum Training nichts Konstruktives mehr beitragen können.

Elisabeth: Glaubst du andere Frauen haben ein ähnliches Problem mit dem Mindset und es gibt deshalb so wenige?

Claudia: Ja, ich denke es liegt am Mindset und am Interesse, welches bei Männern und Frauen eben unterschiedlich ausgeprägt ist. Tendenziell interessieren sich mehr Männer für einen Kampfsport mit Waffen als Frauen. Natürlich gibt es auch Frauen, aber eben wenige. Egal wo ich war, ich habe immer weitaus mehr Burschen als Mädels gesehen. 

Die Bologneser Schule ist historisch gesehen von der Ausrichtung her sehr martialisch. Basis ist die Verteidigung der italienischen Stadtstaaten, die sich in den unruhigen Zeiten ständig miteinander im Krieg befunden haben. Es geht darum, den Gegner so schnell und effizient wie möglich auszuschalten, ergo zu töten.

Außerdem: Du interessierst dich als Frau vielleicht noch dafür, wenn du jung bist, ungebunden und ohne Kinder. Aber wenn dann mal der Moment kommt, eine Familie zu gründen… Wer kriegt die Kinder und kümmert sich um sie? Mit Kindern verschieben sich bei vielen Müttern massiv die Prioritäten. Ich habe da schon ein paar erstaunliche 180 Grad Wendungen miterleben dürfen. Fokus haben nun die Kinder, das Nähren, Umsorgen, Beschützen und Aufbauen. Das verträgt sich schlecht mit einer Kampfkunst, die aufs Töten ausgelegt ist.

Ich hab mich auch oft gefragt, wo der konkrete Nutzen für die Selbstverteidigung heute liegt. Das wäre das gewesen, was mich noch am ehesten langfristig interessiert hätte. Und das war halt nie da.

Alex: Naja schon…

Claudia: Es ist zumindest kein Nutzen direkt erkennbar.

Alex: Ok, die Formulierung akzeptiere ich.

Fior della Spada beim Dreynevent 2015 und 2017.

Alex Zalud gab in diesen Jahren Workshops zu den Themen Schwert & Targa und Schwert & Buckler.

Der Verein zeigt Flagge

Das Banner von Fior della Spada, gefertigt von Michael Rydholm nach dem Logoentwurf von Alex Zalud.

Elisabeth: Ich kann mich noch an ein altes Vereinslogo erinnern, inzwischen gibt es das neue. Wie viel Vereinslogos gab es eigentlich?

Alex: Ich glaube insgesamt vier. Die hab alle ich gemacht. Das erste war noch sehr mittelalterlich angehaucht mit Helmzier und allem drum und dran… Die jetzige Version entstand gezwungenermaßen für Patches. Wir wollten unbedingt Gummipatches und für die Fertigung gab es damals Limitierungen. Ich hab das Logo also so „redesigned“, dass es als Patch gefertigt werden kann.

Elisabeth: Und wann und warum ist dann das Banner entstanden, das du eigenhändig genäht hast, Michael?

Michael: Vermutlich, damit wir beim Dreynevent Flagge zeigen können. Das hatten andere Vereine nämlich. Also wollten wir auch sowas.

Es bricht (fast) auseinander

Werner gegen den damals auf Turnieren berüchtigten italienischen Fechter Andrea „Conan“ Camaggi. (HEMAC Florentia 2016)

Elisabeth: Ab 2014 war ich selber ja auch dabei. Ich kann mich noch an meine ersten Dreynevents erinnern und an die Veranstaltung in Florenz, wo wir gemeinsam 2016 waren. Wir waren immer regelmäßig im Training, es hat alles gut geklappt. Dann kam eine schwierige Phase: Alex konnte aus gesundheitlichen und zeitlichen Gründen kein regelmäßiges Training mehr machen, Werner hat versucht einzuspringen und ist dann selber weggebrochen, ich hab viel Zeit und Energie an den ÖFHF verschwendet, die dann für den Verein gefehlt hat… Wie habt ihr die Zeit erlebt?

Claudia: Ich kann nur zu Werner sagen, dass bei ihm einfach viel zusammengekommen ist. Er ist ja von Wien weggezogen und trotzdem jahrelang von Linz nach Wien ins Training gefahren und dann teilweise erst nach Mitternacht zu Hause gewesen. Ich meine: Wahnsinn, wer tut sich das an? Er hat es immer gerne gemacht, denke ich. Aber irgendwann wurde es einfach zu viel. Er hat die Jagdprüfung gemacht, das Revier seiner Familie übernommen… da geht sich sowas nicht mehr aus.

Alex: Ich konnte einfach nicht mehr. Es gab Tage – teilweise jetzt auch noch, aber nicht mehr so schlimm – an denen ich einfach keine Motivation aufbringen kann. Wenn du Training auf einem Niveau machen willst, wie es bei uns war und ist… Wir haben glaube ich von Anfang an ein ziemlich hohes Trainingsniveau gefahren. Das erfordert einfach ziemlich hohen Einsatz, auch vom Trainer her. Wenn du dann selber keine Energie mehr hast, bleibt einfach nichts dafür übrig.

Elisabeth: Die Zeit, in der es im Verein so schwierig war, ist dann ziemlich nahtlos in Corona übergegangen. Wir konnten plötzlich gar nichts mehr machen. Fluch oder Segen in unserem Fall?

Alex: Ich muss ehrlich sagen, ich hab es nicht als negativ empfunden, ganz im Gegenteil. Für mich war es einfach eine Erleichterung, erstmal nicht mehr zu „müssen“.

Michael: Aber auch in deinen schwierigen Zeiten war trotzdem immer eine gewisse Kontinuität da. Es war auf Sparflamme, keine Frage. Aber das Auflösen stand ja kaum im Raum, jedenfalls meiner Wahrnehmung nach.

Alex: Naja, es gab schon Phasen in denen ich es mir ernsthaft überlegt habe. Aber durch Corona ist der Druck erstmal weggefallen. Der Verein war halt sicher auch ein Schäuflein dazu zum beruflichen Druck, die Leistung erbringen zu wollen und zu müssen…. Alles gemeinsam hat dann halt den Burnout bei mir verursacht.

Elisabeth: Ich finde, dass Corona uns rückblickend gutgetan hat. Wir haben vor allem die zweite Hälfte der Zeit produktiv genutzt. Wir haben inzwischen wieder mehr Trainer, die sich die Arbeit zumindest etwas aufteilen können: Alex, du machst das Training am Mittwoch, ich mach den Donnerstag und Simon und Michael können aus- und mithelfen. Das schafft schon eine gewisse Erleichterung.

Claudia: Das macht einen riesigen Unterschied, ob du alleine bist oder zu zweit oder eben sogar zu viert.

Alex: In der Coronazeit konnten wir uns halt auch auf andere Dinge konzentrieren: Neue Homepage und solche Dinge…

Elisabeth: Wir haben eine neue Homepage, ja, und einen ziemlich breit gefächerten Social Media-Auftritt (YouTube, Instagram, Tiktok)… Ob sich das rentiert, werden wir in den nächsten Jahren sehen. Ich find es übrigens sehr spannend, dass alle schon lange sagen, Facebook stirbt… Und es stimmt ja auch, wenn du dir die Plattformen im Vergleich anschaust. Aber die gesamte HEMA-Szene ist nach wie vor hauptsächlich auf Facebook aktiv.

Alex: Ja, weil wir lauter alte Säcke sind [lacht]

Wo es hingeht

Trainer Michael Rydholm und Simon Errhalt beim Sommertraining im Donaupark (2021)

Elisabeth: Wo sollte der Verein sich die nächsten Jahre hin entwickeln? Habt ihr Wünsche diesbezüglich? Claudia, was meinst du. Der Verein ist ja auch dein Vermächtnis. Dass es dein Verdienst ist, dass er überhaupt gegründet wurde, haben wir ja heute geklärt.

Claudia: Puh… Was mir gefällt ist das Rekonstruieren einer historischen Kampfkunst die – für damalige Zwecke – einfach selbstverteidigungsnah ist, vor allem mit den vielen Waffen. Ich bin zwar nicht mehr in der Szene unterwegs, aber Bologneser Schule zu machen ist denke ich weiterhin ein Alleinstellungsmerkmal. Nicht viele machen das. Viele sind eher wettkampforientiert und dieses Bestreben verändert die Szene. Ob das so weitergeht oder nicht wird sich zeigen. Außerdem gibt es durch den Verein eine Übersetzung von Marozzos Fechtbuch

Alex: Nicht vollständig muss ich an dieser Stelle allerdings sagen.

Claudia: Nicht vollständig. Aber dazu hast du mehrere Bücher veröffentlicht und damit einen Grundstock geschaffen für alle, die sich selber damit beschäftigen wollen.

Michael: Es war immer meine Angst, dass Alex eines Tages die Schnauze voll hat… Wenn ich mich frage, wo wir in den nächsten Jahren hinsollten, dann ist es dieser Anspruch, dass wir uns nicht von den Quellen abkoppeln und eben nicht hauptsächlich wettkampforientiert werden. Das war bis jetzt eben leicht, weil Alex all diese Dinge übernommen und geleistet hat. Und ich merke jetzt selber, so richtig in die Quellen einzutauchen, wenn ich Training vorbereite, diese Zeit habe ich nicht. Das hat Alex immer alles geliefert, dadurch war die Verbindung mit den Texten immer ganz stark vertreten. Und wie gesagt, meine Angst war immer, dass das verschwinden könnte, wenn er mal nicht mehr will. Jetzt haben wir natürlich auch eine „Italiana“ dabei [schaut zu Elisabeth], das ist super, und was da gerade alles in der Zusammenarbeit entstanden ist, finde ich ganz toll.

Alex: Weil du sagst, die Quellen… Ehrlich gesagt: Ich bin ja mittlerweile daran, über die Quellen hinauszugehen. Ich bin jetzt an dem Punkt, wo die Quellen Nachschlagewerke sind. Ich mache mittlerweile im Training auch Stücke und Techniken, die aus mir selber kommen. Ich halte mich dabei „nur“ mehr an die Motorik, an die Prinzipien.

Claudia: Ja, aber da muss man ja erstmal hinkommen. Das kommt ja aus einem Wissen und der Erfahrung die du dir in mehr als 15 Jahren angeeignet hast.

Alex: Es war immer mein Credo, dass es nichts bringt sich auf zu viele Quellen oder Stile gleichzeitig zu konzentrieren. Früher haben das viele gemacht, weil es halt ein gewisser Selbstfindungsprozess war. Man musste das finden, was einem liegt und was man wirklich machen wollte. Wir haben ja auch mit dem Langen Schwert angefangen, sind aber relativ schnell darauf gekommen, dass das nichts für uns ist. Jetzt ist im Vergleich viel mehr verfügbar und die Leute sind so reizüberflutet, dass sie sich einfach mal schnell mit allem befassen wollen, was ihnen eben unter die Nase kommt.

Elisabeth: Wenn ich das also zusammenfasse, soll der Quellenbezug stark bleiben und wir sollen uns nicht zu viel in die wettkampfsportliche Richtung bewegen. Höre ich das richtig raus?

Michael: Das eine schließt das andere nicht aus, glaube ich. Solange der Bezug da ist, ist alles gut. Aber wenn man den historischen Bezug komplett rauskürzt, bleibt nur oberflächlicher Sport.

Alex: Es kommt stark darauf an, wie man trainiert. Wir trainieren mit dem Ziel: Wäre die Waffe scharf, wie würde es dann aussehen. Nicht nach dem Prinzip, habe getroffen, hab einen Punkt nach Regelsystem XY. Ich kann ja auch so trainieren, als wäre die Waffe scharf und trotzdem auf einem Turnier fechten. Mir muss nur klar sein, dass ich Spitzenleistungen in dem Kontext nur abliefern kann, wenn ich gezielt auf das Ausnutzen der Regeln hin trainiere, und das machen wir eben nicht.

Michael: Ein Turnier ab und zu ist ja auch ein soziales Erlebnis.

Elisabeth: Ja, auf jeden Fall. Und ein so kleiner Verein wie wir braucht immer wieder mal Kämpfe mit Leuten von außen. Wir sind teilweise so wenige, dass man sich recht gut kennt und sich alles recht schnell einpendelt. Da ist teilweise nur mehr begrenzter Raum für persönlichen Fortschritt, wenn du immer mit den gleichen Leuten sparrst.

Alex: Deshalb liebe ich inzwischen das Freifechten mit Anfängern. Die sind unberechenbarer als die Fortgeschrittenen [lacht].

Elisabeth: Ich bin sehr froh, dass ihr damals nicht bei Fiore hängen geblieben seid und die Bologneser Schule entdeckt habt. Vor allem aber auch, dass ihr dabeigeblieben seid. Aber warum habt ihr euch das angetan? Was macht Bologneser Schule so faszinierend?

Claudia: Es ist ein in sich geschlossenes System, das auf extrem viele Waffen anwendbar ist. Eine Grundlage und wenn du die kannst, eröffnet sich ein weites Feld an Waffen.

Alex: Wie Claudia sagt. Ich muss nicht weg gehen von der Bologneser Schule, ganz egal was ich machen möchte. Sie ist nicht starr, wie zum Beispiel die japanischen Systeme. Es ist in sich so weit flexibel, dass du mit der nötigen Basis jede Waffe in die Hand nehmen und halbwegs damit umgehen kannst.

Michael: Die Vielfalt in Einheit. Wie die anderen gesagt haben.

Elisabeth: Das ist ein schönes Schlusswort, denke ich. Vielen Dank für eure Zeit und eure Arbeit!

Fior della Spada beim Spadone-Training, das zweihändig geführte Schwert der Bologneser Tradition (2022)

Gespräch geführt am 19. November 2022.