Für das Bologneser Spadone haben wir als Quellen nur Marozzo und den Anonimo. Aber sind die Abläufe dort überhaupt im „realen“ Kampf umsetzbar? Oder muss „kampftauglich“ eigentlich ganz anders aussehen?

Die Assalti

Was ist ein Assalto im Kontext der Bologneser Tradition? Grundsätzlich eine Schulform, eine komplexe Technikabfolge, wie wir sie beispielsweise auch in den chinesischen Kampfkünsten finden. Im Gegensatz dazu haben wir die Abbatimenti, die „kampftauglich“ sind.

Grundsätzlich konfrontieren uns nur Marozzo und Manciolino mit diesen Assalti. Der Anonimo verwendet den Begriff nicht.

In den Assalti sehen wir sehr lange, komplexe Abfolgen von Angriffen und Abwehren, deren Ausführung vor allem eines verlangt: ein gutes Gedächtnis. Denn die Techniken selbst sind nicht besonders schwierig – es ist vor allem die Länge der Abläufe, die eine Herausforderung darstellt.

Worin liegt also der Sinn der Assalti?

Werbung und Selbstdarstellung

Es ist interessant, dass ausgerechnet Marozzo und Manciolino uns diese Formen überliefern. Zumindest der erstgenannte schreibt sein Buch ja ausdrücklich für einen Schüler, der seine eigene Schule eröffnen will. Und was braucht man, um Schüler zu gewinnen? Richtig, Werbung!

Auch im 16. Jahrhundert konnte man nicht einfach eine Schule eröffnen und erwarten, dass die Leute in Scharen kamen. Man musste ihnen etwas bieten – und dazu gehörten wohl auch Darbietungen der Kunst. Und was eignet sich dazu besser, als lange Formen, möglichst noch mit einem Partner, sodass es ein wenig von meisterlich choreographiertem Schaukampf hat?

Aber die Assalti sind auch – genau wie ihre chinesischen Pendants – ein wichtiges Mittel der Selbstdarstellung für den Stil selbst. Schließlich kann man in diesen Abläufen all die Stärken, die Eleganz und Kunst darstellen, die man vermitteln will.

Kampftauglich

Dennoch haben wir mit den Abattimenti den Gegensatz – die kampftauglichen Techniken, sozusagen. Bedeutet das aber im Umkehrschluss, dass die Assalti eben nicht kampftauglich sind?

Bedingt. Feste Abfolgen entsprechen niemals der Dynamik eines Kampfes gegen einen Gegner. Das sture Auswendiglernen von solchen Formen mag es leichter machen, komplexe Bewegungen zu verinnerlichen, aber wenn es dann in den Freikampf geht, machen Formen berechenbar und unflexibel. Insbesondere, wenn der Gegner diese Formen kennt, sie aber nicht anwendet.

In den Abattimenti sehen wir deutlich kürzere Technikfolgen. Nach einem Treffer entfernt man sich wieder vom Gegner, es erfolgt nicht sofort der Übergang zu einer weiteren Technik. Im Anonimo sehen wir hunderte solcher Stücke – die sich aber beliebig aneinander reihen lassen. Es gibt also keinerlei vorhersehbare Struktur.

Das Rückwärts-Puzzle des Spadone

Das Spadone stellt uns nun vor ein besonderes Problem: wir haben keine Abattimenti. Während wir bei anderen Waffen entweder mit beidem versorgt sind, oder es gar nur Abattimenti gibt, haben wir beim Spadone ausschließlich Assalti.

Heißt das jetzt, dass das Spadone gar nicht kampftauglich ist? Ist es nur eine „Schulwaffe“ ohne praktischen Nutzen?

Nein, sicher nicht. Aber wir müssen die Quellen etwas genauer betrachten.

Marozzo hat in seinem Buch drei Assalti mit dem Spadone. Der erste findet im Gioco largo statt, zeigt also vor allem weite Hiebe und Schwünge. Der zweite wechselt zwischen Gioco largo und stretto, hier sehen wir also auch eine deutliche Vorwärtsbewegung, das Aufschließen zum Gegner. Der dritte Assalto beschäftigt sich mit dem Megia spada, dem Fechten aus der Bindung.

Marozzo präsentiert uns also drei unterschiedliche Möglichkeiten, wie ein Kampf stattfinden kann, und zeigt uns, was man jeweils machen kann.

Die Präsentation als Assalto ist schon wieder Werbung. Sie scheitert auch am Megia spada. Die beiden anderen Bereiche lassen sich noch in schönen Choreographien präsentieren, aber das Fechten aus der Bindung eben nicht.

Das bedeutet aber, dass wir auf der Suche nach Techniken, die kampftauglich sind, die Assalti als ein Rückwärts-Puzzle betrachten müssen – wir müssen also das komplette Bild in seine Einzelteile zerlegen. Diese Einzelteile sind es, die das Spadone kampftauglich machen.

Puzzle-Steine

Wenn wir uns auf die Suche nach den Einzelteilen begeben, fangen wir am Besten damit an, Wiederholungen zu suchen. Wenn bestimmte Techniken immer wieder vorkommen, muss ihre Relevanz hoch sein.

Wir finden beispielsweise die Parade in Guardia d’ Intrare (in beiden Varianten) sehr häufig. Und tatsächlich zeigt sich im praktischen Versuch, dass sie gegen alles, was von oben kommt, hoch effektiv ist. Sie eröffnet auch sofort Kontermöglichkeiten.

Interessant sind auch Dinge, die eben nicht häufig vorkommen, obwohl sie im sonstigen Technikkanon häufig sind. Falso-Versatzungen sind etwa so ein Fall. Mit dem Seitschwert grundlegend, sehen wir sie in den Assalti mit dem Spadone kaum. Sind sie also mit dieser Waffe nicht zielführend?

Im Gegenteil. Aber sie lassen sich nur selten in den Fluss einer Form einbauen. Es ist ihre Aufgabe, einen Rhythmus zu brechen, also eigenen sie sich nicht dafür, einen solchen zu erzeugen.

Es ist ein mühsamer Weg, aber Stück für Stück kann man die Assalti zerlegen, ihre Einzelteile für sich bewerten und dann auch neu zusammensetzen.

Der Praxis-Test

Wie testet man nun aber, ob die Teile die man gefunden hat auch wirklich kampftauglich sind? Freifechten mag nahe liegen, aber im Freikampf funktioniert vieles nicht, was im Techniktraining noch gut war – aus vielen Gründen.

Es ist also keine unbedingt valide Methode, Techniken zu testen. Zumindest nicht im ersten Schritt.

Also habe ich mir etwas anderes überlegt. Mit einem Partner vereinbare ich eine Angriffszone, also beispielsweise den Kopf. Er darf nun diese Zone angreifen, egal mit welcher Technik oder Technikabfolge. Meine Aufgabe besteht darin, dies abzuwehren und zu kontern.Guardi d'Intrare kampftauglich

Da wir das Ganze mitfilmen, kann ich später genau analysieren, welche Techniken ich verwendet habe, welche ich vielleicht mehrfach eingesetzt habe, usw.

Das Ergebnis war recht erhellend. Es waren viele, viele Stücke aus den Assalti, einzelne Passagen, die durch einen Treffer beendet wurden, anstatt noch weitergeführt zu werden. Und es waren einige Techniken dabei, die dem grundlegenden Technikkanon entstammen.

Natürlich ist es schwierig, mit dieser Methode Angriffe zu testen. Die meisten Angriffe in den Assalti sind aber ohnehin solche, die als Finte oder Provokation dienen, also nicht direkt zum Treffer führen.

Wertlose Assalti?

Sind die Assalti dann nicht eigentlich wertlos? Nein. Sie sind eine Überlieferungsform, die von den Autoren ganz bewusst gewählt wurde. Vielleicht auch deshalb, weil sie Dinge enthalten, die nicht jeder Leser einfach so präsentiert bekommen sollte.

Wird man durch das Üben der Assalti ein guter Fechter? Auch nein. Das bloße „Nachhampeln“ der Abläufe macht einen vielleicht zu einem guten Tänzer, aber nicht zu einem guten Kämpfer. Verfügt man aber über das Verständnis dessen, was genau jede Abfolge beinhaltet, lassen sich Techniken flüssiger machen. Das Körpergefühl wird ebenfalls geschult und die Waffenkontrolle gleich mit.

Muss man die Assalti üben, wenn man Bologneser Spadone fechten will? Nein, aber es schadet sicher nicht. Für die Rekonstruktion ist es sogar unerlässlich. Allerdings sollten wir wohl langsam anfangen, uns von diesen Formen zu lösen, und ihre Inhalte wieder kampftauglich zu machen.

Das Spadone kampftauglich

Lange Zeit galt das Spadone als Waffe, mit der „sicheres Sparring“ nicht möglich ist. Zu schwer war es, zu lang, und lässt sich zu stark beschleunigen. Da hält selbst eine Fechtmaske nicht Stand.

Heute haben wir Synthetikklingen, die in ihrer Handhabung Stahl entsprechen, aber viel dickere Schlagkanten besitzen. Wir haben leichte Fechtfedern in entsprechender Länge.

Nein, turniermäßig würde ich das Spadone nicht fechten wollen. Zumindest nicht beim derzeitigen Niveau.

Aber mit Fechtern, die über die nötige Kontrolle (der Waffe und des Egos) verfügen, fechte ich auch das Spadone frei. Sogar mit minimaler Schutzausrüstung (Maske + Handschuhe). Die Geschwindigkeit ein wenig herab gesetzt, und es ist so sicher wie jede andere Waffe.

Schnell zeigt sich dann auch, dass man einen Assalto nicht „durchfechten“ kann. Wenn der Gegner nicht mitspielt, sind all die schönen Abfolgen leider sprichwörtlich „für die Füße“.

Ausblick

Die Arbeit an meinem Spadone-Buch hat mir neue Sichtweisen eröffnet. Die Suche nach einer Präsentation abseits des ewig gleichen Assalti-Hampelns hat mich auf die Spur eines Puzzles geführt, das man auseinander nehmen muss, anstatt es zusammenzusetzen.

Und obwohl ich noch relativ am Anfang davon stehe, die Teile zu sortieren, erkenne ich bereits jetzt, wie schnell die Dinge in der Praxis funktionieren. Die Teile fallen ineinander und ergeben ein neues Bild. Und noch eines. Und noch eines…